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Probleme mit Gott

— Unmöglichkeiten immanent-transzendentaler Kommunikation und die Umkehrung der Präferenz im Religionssystem

Das Anliegen, religiöse Themen mit den Werkzeugen und Methoden moderner Wissenschaften zu bearbeiten, führt zumeist zügig in eine nicht unproblematische Auseinandersetzung, die sich traditionell an der Unterscheidung Glauben/Wissen orientiert. Insbesondere die Soziologie erregte stets die Gemüter, wenn sie sich auf religiöses Terrain begeben hat – und tut dies bis heute, aus einem Grund, den Luhmann als das Prinzip des Verdachts bezeichnet: die Soziologie muss hinter den sichtbaren Handlungen der Menschen verborgene Motive und Interessen vermuten, aufspüren und beschreiben können, wenn sie etwas zur Diskussion beitragen will, das über die ohnehin alltäglich beobachtbaren und deshalb trivialen Ereignisse hinausgeht. „Sie geht zwar vom gemeinten Sinn des Handelns aus, glaubt aber nicht, daß Menschen wirklich wissen, was sie tun und warum sie es tun.1

Auf Grund dieser Bringschuld hat sich die Untersuchung von latenten Strukturen wie ein archimedischer Punkt als Beobachtungsprämisse in den Geistes- und Sozialwissenschaften manifestiert. Abgesehen davon, dass eine Untersuchung des Verborgenen eine, sich in gewisser Weise selbst blockierende Zielvorgabe ist, hebt diese Einstellung die Soziologie gegenüber ihrem Untersuchungsgegenstand laut Luhmann in eine überlegene Position: in ihrer Reflexion glaubt sie tatsächlich, mehr sehen zu können als andere Beobachter und wird deshalb überheblich. In Bezug auf Religion besteht dann die Gefahr, dass der Untersuchungsgegenstand als etwas Irrationales wahrgenommen wird oder als eine Befriedigung von Bedürfnissen, die  im Orbit einer modernen Welt als naiv und substituierbar erscheinen.

Diese Zwangsposition der Soziologie löst sich mit dem Übergang zur Theorie operativ geschlossener, autopoietischer Systeme jedoch auf. Weil sie sich selbst als geschlossenes System mit eigenem blindem Fleck und die damit einhergehende Unzulänglichkeit ihrer Beschreibungen reflektieren muss, schützt sich die Selbstbeschreibung der Gesellschaft davor, der bessere Beobachter zu sein. Dies ist die Ausgangslage, von der aus Luhmann einen Anschluss an den theologischen Diskurs zu finden bemüht ist und die alles entscheidende Frage nach der Unterscheidung Gottes stellt.

Leitunterscheidung Immanenz/Transzendenz

Luhmann beschreibt die Leitdifferenz der Religion als Unterscheidung zwischen Immanenz und Transzendenz. Er erreicht auf diese Weise ein ausreichendes Abstraktionsniveau, um dem Kontingenz bewältigenden Operationsmodus der Religion Epochen übergreifend gerecht zu werden: Religion ist die Beschreibung einer Wirklichkeit, in der es grundsätzlich einerseits weltliche, profane, erfahrbare, sichere also immanente Begebenheiten gibt und andererseits solche, die den Horizont der Lebenswelt als das Wissen und die Erfahrung des Menschen überschreiten und sich als transzendente Sinnzusammenhänge der Erfahrung prinzipiell entziehen. Als Teilsystem der Gesellschaft, ermöglicht Religion also die Kommunikation über Unsicherheiten und Sinnfragen, die sie mit Hilfe ihres Codes zu allererst erzeugt und zugleich in eine in der Kommunikation bearbeitbare Form bringt.2

Binäre Codierung ist die Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Codierungen aller symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien. Codes haben einen Positivwert, der als aktualisierte Kommunikation Anschlussfähigkeit garantiert und einen Negativwert, der die Akzeptanz eines Kommunikationsangebots ablehnt. Der Negativwert besitzt die Funktion eines Reflexionswerts, der im Zuge der Ausdifferenzierung Irritationspotenzial zur Verfügung stellt. Dies gilt für alle funktionalen Teilsysteme der Gesellschaft – nur nicht für das Religionssystem.

Die Umkehrung der Präferenz

Auf Grund ihrer Funktion der Beobachtung der Transzendenz, steht die Religion der Gesellschaft vor der Herausforderung, „[…] die Horizonthaftigkeit allen Sinnes“3 codieren zu müssen. Daraus ergibt sich, dass sie den aktuell immanent erlebten Sinn als instabil kennzeichnet, während die Transzendenz als Horizont die Möglichkeiten des Möglichen repräsentiert. Das, was also sicher und evident zu sein scheint, ist zugleich permanent aktualisierbar und deshalb unsicher, während das, was nicht aktualisiert werden kann und durch die Abgrenzungsfunktion eine reichlich unsichere Dimension jenseits der Markierung bereit hält, als stabil betrachtet wird. Mit anderen Worten: den in anderen Funktionssystemen sonst beachteten Unterschied „[…] von Aktualität und Möglichkeit hebt die religiöse Codierung auf, indem sie ihn der Immanenz zuweist (und üblicherweise an der Endlichkeit des Menschen festmacht) und für die Transzendenz das Gegenteil postuliert: daß sie sicher und stabil, evident und von alles durchdringender Dauer sei.“4

Damit ist der Weg vorgegeben, auf dem für die Religion Potenziale zur Ausdifferenzierung liegen. Erstens muss sie die Transzendenz mit Anschlussfähigkeit versorgen – was zunächst nichts anderes heißt, als: für Kommunikation verfügbar machen – und erfindet dafür in den allermeisten Fällen die Chiffre Gott. In diesem Zusammenhang wird eine Gruppe von Göttern oder ein Gott als Schöpfer verstanden, der sich im Akt der Schöpfung von der Schöpfung selbst unterschieden hat und dies in der Trinität reflektiert.5 Er hat sich mit der Erschaffung der Welt seinen eigenen Möglichkeitshorizont geschaffen: alles, was möglich ist, ist in der Transzendenz immer schon enthalten, festgelegt und/oder vorhergesehen. Und zweitens kann sie es bei der Beschreibung der theistischen Option dann kaum mehr vermeiden, Ihn – wenn als das Ganze, das Eine und Allumfassende – zugleich auch als das Gute zu beschreiben, was im Umkehrschluss nichts anderes bedeutet, als dass die übrige Welt, um sich von Ihm zu unterscheiden, als Mangel, Unvollkommenheit und dann auch als bloße Vorstufe des Jenseits oder des Paradieses betrachtet wird.

Taxonomie: Gott und Teufel

Nicht nur das Christentum nutzt für die Beobachtung Gottes den Teufel als andere Seite der Unterscheidung, der zur Sünde verführen und ein gottgefälliges Leben verhindern will, damit er die armen Seelen im Fegefeuer der Hölle malträtieren kann. Die Einhaltung der Gebote ist umgekehrt die Voraussetzung für den Eintritt ins Himmelreich. Es ist offensichtlich, dass die Religion mit dieser Ausdifferenzierung eine Moralisierung vornimmt, also Angaben über Achtung und Nichtachtung macht. Dabei ist der Negativwert anschlussfähiger als der eigentliche Positivwert Heil: „Über die Hölle läßt sich (allein schon wegen der Notwendigkeit leiblicher Anwesenheit) sehr viel mehr sagen als über den Himmel, und auch das Tarifsystem der Hölle läßt sich viel besser beschreiben als das des Himmels.“6

In segmentären und stratifizierten Gesellschaften, in denen die Kompetenz, spezifische Aussagen über die Transzendenz zu treffen, religiösen Autoritäten wie selbstverständlich überlassen bleibt, ist das ohne weiteres machbar, aber spätestens mit Aufkommen des Buchdrucks gehen die Voraussetzungen für eine moralisierende Lösung unwiederbringlich verloren: ausgezeichnete Beobachterpositionen der Transzendenz verlieren ebenso ihre Plausibilität, wie ausgewiesene Orte, an denen das Göttliche besonders nah erfahren werden könnte:

„Es gibt keine heiligen Plätze, Orte, Bilder mit privilegierter Gottesnähe. Die Differenz von sakral und profan wird zumindest theologisch überwunden und dem Volksglauben überlassen“7

Der genaue Weg in den Himmel wird jetzt nicht mehr durch die kirchlichen Autoritäten gewiesen, sondern ergibt sich nur noch aus den heiligen Schriften, die in Europa nach Übersetzungen in die jeweiligen Landessprachen zumindest all denjenigen zur Lektüre zur Verfügung stehen, die die Technik des Lesens beherrschen. Damit verschwimmen aber die  Voraussetzungen für den Zugang zum ewigem Leben: Der Buchdruck macht Fragen der Moral zu einem Diskursevent, der die Autorität zum größten Ärgernis aller Theoretiker des kommunikativen Handelns nicht ersetzen kann, weil er gerade nicht in einen vernünftigen Konsens mündet und deshalb die nötige universelle Akzeptanz der moralischen Vorgaben allmählich auflöst. „Die Vorbedingungen des Codes Heil und Verdammnis liegt in der Erkennbarkeit, ja mehr noch: in der Institutionalisierbarkeit von Kriterien der Selektion. Man muß, mit anderen Worten, unterstellen können, daß auch andere sich in Heilserwartungen an dieselben Kriterien halten – allein schon, um sicher zu sein, daß man im Himmel nicht mit überraschend unangenehmen Bekanntschaften konfrontiert sein wird.“8

Wozu soll man die Bedingungen für die Unterscheidung von Achtung/Nichtachtung akzeptieren, wenn man nicht mehr wissen kann, ob man auf diese Weise tatsächlich das Seelenheil erlangen kann? Es ist leicht nachvollziehbar, dass diese Entwicklung für den Teufel und seine Hölle keinen vorteilhaften Ausgang haben kann: „Wir können, wohl auch ohne nähere empirische Untersuchung, davon ausgehen, daß es zumindest auf dieser Seite der Religion eine kaum reversible Erosion des Glaubens stattgefunden hat. Der arme Teufel wird nur noch verspottet.“9

Die Religion muss ab jetzt versuchen, sich von moralischen Regelwerken als Eintrittsbedingungen zum Paradies zu befreien. Der Teufel, der all das ist, was Gott nicht sein sollte, ist jetzt nur noch im Weg. Bis sich die Religion in dieser neuartigen Situation jedoch in ausreichendem Maße orientiert hat, kommt es zu verheerenden Glaubenskriegen überall in Europa.

Amoralische Versuche

Einen Ausweg findet die Religion in Konstruktionen wie dem vergebenden Gott, der auch Sündern einen Eintritt in sein Reich ermöglicht, solange sie nur Reue zeigen und an ihn glauben, aber auch in der – in Bezug auf die Unvollkommenheit der Welt – Unergründlichkeit der Wege des Herrn. Gott ist nun nicht mehr darauf angewiesen, dass sich die moralische Ordnung der Welt erweist, weil Bösartigkeit, Gewalt und Krankheit als Prüfungen des Glaubens an ihn interpretiert werden können. Im Gegenteil, Gott hat den Menschen mit der Entscheidungsfreiheit ausgestattet, sich gefügig oder auflehnend zu verhalten. Und wenn Er nach irdischen Maßstäben weder gut noch böse ist, verliert der Teufel schnell seine Funktion als Gegenspieler.

Aber dieser Lösung überzeugt nicht für sich genommen. Auch ein amoralischer Gott beobachtet die Menschen, wozu sonst sollte es ihn geben. Das heißt, er muss unterscheiden, um Informationen zu gewinnen. Mit anderen Worten: man müsste beobachten können, „[…] welche Unterscheidung er (im Unterschied zu anderen) verwendet.“10 Und eben hier offenbart sich das generelle Problem, das die Religion mit Gott hat: Als Chiffre ist Gott, wie auch immer man die Unterscheidung letztlich ansetzt, eine immanente Figur, die dem Sinnhorizont der Transzendenz immer schon gegenüber steht. Jede Antwort auf  die Frage nach Gott ist nur eine unter vielen möglichen Antworten, die jene Seite, auf die sie sich beziehen wollen gar nicht erreichen können. Aus rein logischen Gründen können Beobachtung und Kommunikation nur als Formen auftreten, als unterschiedene und unterscheidende Seite der Operation und nicht als andere Seite, als unmarked space selber.11 Auf die andere Seite der Unterscheidung gelangen sie nur durch ein crossing, das jedoch wiederum eine Form und einen unendlich großen unmarked space erzeugt.

Aus dem gleichen Grund ist auch Kommunikation mit Gott prinzipiell unmöglich. Die Gesellschaft ist ein operativ geschlossenes und umweltoffenes System. Sie besteht aus sinnhaften Kommunikationen und garantiert die Möglichkeiten ihrer autopoietischen Reproduktion bei „[…] hinreichend unspezifischen Umweltressourcen.“12 Natürlich setzt sie voraus, dass es in ihrer Umwelt andere soziale Systeme, Bewusstseinssysteme, Leben, Materie und so weiter gibt. Es sind wiederum soziale Systeme und Bewusstseinssysteme, die als Ausdifferenzierungsphänomene des Gesellschaftssystems in Erscheinung treten. Jedoch: „Die Gesellschaft kann nicht mit ihrer Umwelt, sie kann nur über ihre Umwelt kommunizieren.“13 Das alles hat zur Folge, dass es außerhalb der Gesellschaft keine Kommunikation geben kann. Gott kann demnach kommunikativ nicht erreicht werden.

Das grundsätzliche Problem der Religion mit Gott hat mithin die Form eines logischen Widerspruchs: wenn Gott kommuniziert, dann ist es nicht  Gott.  Wenn man Gott beobachten kann, dann bekommt man alles andere, nur nicht Gott in den Blick. Erreichbar ist Gott höchstens durch den Tod oder die vollkommene Erleuchtung, mit der jede Unterscheidung endet, weil das System, das unterschieden hatte, zu sein aufhört und mit der Welt, die es zuvor umgeben hatte eins wird. Aber das ist dann nicht nur das Ende der Autopoiesis des Systems, sondern seiner Fähigkeit zur Beobachtung überhaupt.

 

Das Gebet: Zwischen Negation und Existenzbeweis

Die Theologie hat laut Luhmann für die Kommunikationsrichtung Gott – Mensch eine Lösung gefunden, indem sie schlicht behauptet, dass der Text eine historisch einmalige Offenbarungsleistung des Schöpfers war, der danach und bis heute nichts mehr von sich hören ließ.14 In der Form des Gebets wird jedoch an der Idee, man könne mit Gott kommunizieren, bis heute unbeirrbar festgehalten – ja, es erscheint gar als unverzichtbar, auch wenn man Gott nicht über etwas informieren kann, das er nicht bereits wusste, auch wenn man Gott nicht zu etwas bewegen kann, das er nicht ohnehin geplant hat. Den Grund für dieses Beharren auf der kommunikativen Erreichbarkeit Gottes  liegt laut Luhmann unter anderem in einer Art Ablenkungsmanöver, das den skeptischen Beobachter beschäftigen soll: „Würde die Gesellschaft sich auf Kommunikation über Gott beschränken, würde sie Negationsmöglichkeiten und Alternativformulierungen Tür und Tor öffnen. […] In der Kommunikation mit Gott ist dagegen all diese Kontingenz ausgeschlossen: Man könnte und würde ja nicht mit ihm kommunizieren, wenn es ihn nicht gäbe.“15

Die Möglichkeit, mit Gott zu kommunizieren, impliziert dessen eigene Existenz. Im Gebet wird also ein Folgeproblem deutlich, das sich aus der Gotteskonstruktion ergibt, wenn die kirchliche Autorität keine uneingeschränkte Macht mehr besitzt: Religion gefährdet sich mit der Beobachtung Gottes selbst, weil sie ihre Beobachtungen der Beobachtung 2. Ordnung aussetzt. Wenn die Transzendenz der kommunizierte Wert ist, kann sie negiert werden. So erlaubt der Code, neben seiner Annahme, seine eigene Ablehnung  durch die Sünde.16 Die Transzendenz kann ignoriert, ersetzt oder sogar geleugnet werden, und all das müsste die Religion verarbeiten können, obwohl sie sich auf einen oder mehrere Texte als Offenbarung festgelegt hat. Wenn man Glück hat, kann man auf unterschiedliche Überlieferungen zurückgreifen oder die Diskussion in eine fortwährende Tradition der Interpretation der Textvorlage ableiten. Aber auch dieser Form der Flexibilität sind relativ enge Grenzen gesetzt. Die Systeme müssen im Rahmen der doppelten Kontingenz zusichern können, dass Kommunikationsofferten einen Impact haben, da es sonst keinen Anreiz für Kommunikationsofferten gibt. Davon ist die Religion, auch nach Aufgabe moralischer Zweitcodierungen noch immer nicht befreit.

Luhmann optimistisch

Auf Grund dieser Diagnose schlägt Luhmann der Religion vor, sie solle es doch einmal ohne Gott versuchen. Wenn das, was die Religion zu bieten hat, immer schon als nur eine kontingente Beschreibung von vielen abgelehnt werden kann,17 wenn die Chiffre als immanente Beschreibung der Transzendenz diese mit unausweichlicher Sicherheit ohnehin verfehlt, dann erscheint dieser Vorschlag durchaus attraktiv zu sein. Die Religion könnte sich stattdessen auf einen Modus des bloßen Fragens beschränken und auf diese Weise die Aufmerksamkeit dafür erhalten, dass jede Antwort auf die Frage nach dem Sinn allen Sinnes fraglich bleibt. Die Antwort wäre der Prozess des Fragens selbst. In Bezug auf die Existenz – sei sie auf das menschliche Dasein oder die systemische Kommunikation bezogen – spricht die moderne Religionssoziologie der Religion die Fähigkeit der Kontigenzbewältigung zu. Der Begriff „Bewältigung“ ist dementsprechend treffend gewählt, da es gerade nicht um eine Überwindung von Kontingenz geht, sondern um die verschiedenen Formen, (ritualen) Praxen und Programme, die eine mögliche, und daher immer kontingente, Antwort auf die Frage nach dem Sinn allen Sinnes bieten. Im Modus des Fragens bliebe die Funktion der Religion also durchaus erhalten, wenngleich sie alle Probleme mit Gott über Bord werfen könnte.

Bleibt nur die Frage, weshalb die Religion diesen Vorschlag Luhmanns zumindest bis heute nicht dankend angenommen hat. Wir vermuten den Grund dafür in einer, für Luhmann charakteristischen Überschätzung der Reflexions- und Komplexitätsverarbeitungspotenziale der Moderne. Luhmann gibt hier möglicherweise eine Prise Optimismus zu viel in die Beschreibung der Gutenberg-Galaxis und ihrer Fähigkeiten, mit Kontingenzerfahrungen umzugehen. Es ist durchaus zutreffend: die Temporalisierung der Programme der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien der Funktionssysteme ist eine Voraussetzung ihrer Akzeptanz. Aber das schützt die Systeme offenbar nicht davor, trotz allem nach einem letzten Prinzip, einer nicht mehr falsifizierbaren Wahrheit18 oder nach unverzichtbaren Normen19 zu suchen.

Eine Veränderung dieser Situation tritt möglicherweise mit dem Internet als jüngstem Verbreitungsmedium ein: wenn Dirk Baecker mit seiner Vermutung Recht hat, dass die Kulturform der nächsten Gesellschaft die Form der Form selbst ist,20 dann könnte darin ein Zugewinn an Reflexionspotenzial vermutet werden, mit dem die Suche nach letztgültigen Formen als nicht mehr zeitgemäß ablehnt und überwunden werden kann. Die Form der Form würde jedoch voraussetzen, dass die Teilsysteme Möglichkeiten fänden, mit Kontingenz so umzugehen, dass die Motivation zur Kommunikation erhalten bliebe. Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation muss in ausreichendem Umfang in Wahrscheinlichkeit transformiert werden. Gelänge dies, hätten sich die Probleme mit Gott erledigt.

Quellen

Baecker, Dirk: Studien zur nächsten Gesellschaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2007 (=Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1856).

Luhmann, Niklas: Die Religion der Gesellschaft. Hrsg. von André Kieserling. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2002 (=Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1581).

Luhmann, Niklas: Die Unterscheidung Gottes. In: Beiträge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft. 3. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005. S.250-268.

Luhmann, Niklas: Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1992 (=Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1001).

Luhmann, Niklas: Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen? In: Die Moral der Gesellschaft. Hrsg. von Detlef Horster. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2008 (=Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1871). S. 228-252.

Luhmann, Niklas: Läßt unsere Gesellschaft Kommunikation mit Gott zu? In: Soziologische Aufklärung 4. Beiträge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft. 4 Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009. S.241-249.

Spencer-Brown, George: Laws of Form. Gesetze der Form. 2. Aufl. Lübeck: Joh. Bohmeier Verlag 1999.

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Anmerkungen:

  1. Luhmann, N.: Läßt unsere Gesellschaft Kommunikation mit Gott zu? S.241.
  2. Vgl. Luhmann, N.: Die Religion der Gesellschaft. S.53-114.
  3. Luhmann, N.: Die Unterscheidung Gottes. S.252.
  4. Ebd.
  5. Vgl. ebd. S.256.
  6. Ebd. S.253.
  7. Ebd. S.261.
  8. Ebd. S.254.
  9. Ebd.
  10. Ebd. S.255.
  11. Vgl. Spencer-Brown, G.: Laws of Form.
  12. Luhmann, N.: Läßt unsere Gesellschaft Kommunikation mit Gott zu? S.242.
  13. Ebd. S.243.
  14. Vgl. ebd. S.245f.
  15. Ebd. S.246.
  16. Vgl. Luhmann, N.: Die Unterscheidung Gottes. S.261.
  17. Vgl. ebd. S.258.
  18. Oder wenigstens nach falsifizierbaren Theorien, was auf das gleiche hinausliefe: Vgl. vor allem Luhmann, N.: Die Wissenschaft der Gesellschaft. S.394.
  19. Vgl. Luhmann, N.: Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen?
  20. Vgl. Baecker, D.: Studien zur nächsten Gesellschaft.
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