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Die Unterstellung der Kommunikation

— Ignoranz des Bewusstseins und gesellschaftliche Evolution

Menschen können nicht kommunizieren

Weder Menschen, noch Gehirne, noch nicht einmal Bewusstseine können – ganz im Gegensatz zur gängigen Auffassung – kommunizieren. Einzig und allein Kommunikation kann kommunizieren. Der Grund: Das Bewusstsein ist ein operativ geschlossenes System, das keinerlei direkten Kontakt zu seiner Umwelt etablieren kann. Es gibt in der Umwelt des Bewusstseinssystems keine Anschlüsse für seine Nervenimpulse. Und deshalb liegt eine prinzipielle Trennung vor zwischen der Wahrnehmung und dem Prozessieren von Gedanken durch Bewusstseinssysteme einerseits und der Kommunikation andererseits, die sich in keinem Moment überwinden lässt.

Kommunikation ist höchst unwahrscheinlich

Unstrittig ist, dass Kommunikation dennoch auf Leistungen von Bewusstseinssystemen zurückgreifen muss, um sich selbst in Gang zu halten: nur Bewusstseinssysteme können Kommunikation wahrnehmen und sich durch sie irritieren lassen. Das ist jedoch keinesfalls eine Selbstverständlichkeit, obwohl es im Normalzustand ständig funktioniert. Denn es ist höchst unwahrscheinlich, dass nervös vibrierende, quirlig ihre eigenen Operationen fortsetzende Gehirne ihre beschränkten Aufmerksamkeitspotenziale gerade für Kommunikation bereitstellen. Mit anderen Worten: die Voraussetzung, dass Kommunikation überhaupt einen Adressaten findet, ist zumindest fraglich, und damit auch, ob ausreichend Motivation für Kommunikation aktiviert werden kann.1

Und dennoch: es funktioniert

Um zu begründen, weshalb Kommunikation im Allgemeinen dennoch und beinahe ununterbrochen vorkommt, greift Luhmann auf den Begriff der strukturellen Kopplung des Biologen Humberto Maturana zurück:

„Nur wenn ein System in seiner autopoietischen Reproduktion dem Bereich, in dem es operiert, angepaßt ist, kann es sich durch seine eigenen Strukturen determinieren. Und nur wenn es durch seine eigenen Strukturen in einem laufenden structural coupling mit seiner Umwelt in Kontakt steht, kann es die eigenen Operationen fortsetzen.“2

Kommunikation ist faszinierend für das Bewusstsein, und zwar dermaßen, dass es sich von ihr präokkupieren lässt. Man denke nur an störende Gespräche in Kirchen, Konzerthäusern, Bibliotheken – es fällt gemeinhin schwer, stattfindende Kommunikation zu ignorieren. Auf den Grund für diese Faszination geht Luhmann nicht weiter ein; wir spekulieren, dass er sich auf Spekulationen dazu nicht einlassen wollte, weil sie für die Beobachtung von Gesellschaft nicht notwendig sind. Denn ob man entwicklungspsychologisch argumentiert und Sozialisation verantwortlich macht (mit der Geburt ist man sofort von Kommunikation umgeben und wird im Laufe der Entwicklung darauf trainiert, auf sie zu reagieren), oder aber systemtheoretisch (Faszination ergibt sich aus einer Störung des Normalverlaufs der Wahrnehmung, ist also eine Form der Information3), ist letztlich für die Beobachtung, dass Kommunikation ganz offensichtlich die Eigenschaft besitzt, Bewusstsein zu faszinieren, keine vorauszusetzende Entscheidung.

Medium, Form, strukturelle Komplementarität

Ein Beobachter, sei es ein psychisches, sei es ein soziales System, kann Bewusstsein als Freiheit, als möglichen Zustand, als Modalität, oder in der Terminologie von Fritz Heider ausgedrückt: als Medium beobachten.4 Für die Kommunikation ist Bewusstsein Medium, eine Menge von lose gekoppelten Elementen, und sie unterstellt, dass sie ihm ihre rigiden Formen, einprägen kann. Dabei ignoriert sie die Tatsache, dass ein „[…] Bewußtsein denkt, was es denkt – das und nicht anderes.“5 Das Bewusstsein organisiert und produziert seine Wahrnehmungen selbst, selektiert also auch selbstständig Mitteilung und Information.

Und es produziert auch eigene Aussageabsichten, die es dann in der Form von Kommunikation mitteilt und in diesem Sinne wiederum Kommunikation als Medium beobachtet, dem es seine Formen einprägen kann. Auch das Bewusstsein verkennt also, indem es Worte zu Sätzen zusammendenkt, die Eigendeterminiertheit von Kommunikation. Es verwechselt Irritation mit Instruktion. Die Sprache ist insofern eine Errungenschaft, die es ermöglicht, dass strukturdeterminierte Systeme – Bewusstsein und Kommunikation – Medium und Form sein können. Sprache ermöglicht mithin eine Beziehung, die, wie wir sehen, zum großen Teil darin besteht, dass ein System das Systemsein eines anderen Systems ignoriert, um sich zu motivieren, bestimmte Operationen zu vollziehen.

Interpenetration

Aus der Sicht eines unbeteiligten Beobachters werden diese Unterstellungen sichtbar und er hat dann die Möglichkeit, eine andere Beschreibung zu wählen, die mehr Erklärungspotenzial bereitstellt. Luhmann tut dies hinsichtlich der Beziehung zwischen Bewusstsein und Kommunikation mit dem Begriff der Interpenetration.6 Interpenetration beschreibt den Vorgang der gegenseitigen Einflussnahme zweier Systeme auf Grund der Selbstentscheidungen des jeweils anderen Systems. Interpenetration kommt zu Stande durch Irritationen, die im System verarbeitet werden und auf diese Weise zu operativen und strukturellen Änderungen führen. Der Begriff ist abstrakt genug angelegt, um jedwede Beziehung unterschiedlicher autopoietischer Systeme zu bezeichnen: Bewusstsein und Kommunikation, Lehrer und Schüler, Gesellschaft und Individuum usw.7

Kulturformen und gesellschaftliche Ausdifferenzierung

Inwiefern Kommunikation und damit Gesellschaft die Eigenverfasstheit des Bewusstseins, bei der Verwendung unterschiedlicher Kommunikationsmedien konkret in Rechnung stellen muss, inwieweit die Einheit und Komplexität des Bewusstseins zur Funktion der Gesellschaft wird, inwiefern also die Interpenetration der beiden Systeme Wirkung zeigt, ist dann wiederum ausschlaggebend für die Ausdifferenzierung des Gesellschaftssystems.

Denn Interpenetration impliziert, dass sich Bewusstsein und Kommunikation gegenseitig beobachten: Beobachtungen sind jedoch sinnkonstituierende Operationen, also solche, die den unmarked space8 und dementsprechend Kontingenz berücksichtigen können. Damit ist Sinn die Befähigung zur Verneinung, logischen Modalisierung, und Mitrepräsentation anderer Möglichkeiten. Sinn ist die Unterscheidung aktuell/potenziell, „ein in den Operationen aktuell verfügbarer Verweisungsüberschuß, der zur Selektion zwingt […].“9

Mit der Sicherheit, dass sie einen Adressaten findet, und dass sie, auf Grund ihrer Grammatik und Semantik auch verstanden wird, entsteht für die Kommunikation als beobachtetes System also das  Problem der Akzeptanz ihrer Selektionen durch das Bewusstseinssystem. Und um eben dieses Problem zu lösen, koevoluieren bestimmte Einrichtungen parallel zur Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien (Schrift, Buchdruck, elektronische Massenmedien und eben auch, so die These, Internet), die auf diese Weise zur Ausdifferenzierung des Gesellschaftssystems beitragen. Mit anderen Worten ließe sich sagen: gesellschaftliche Evolution findet statt, weil Kommunikation an Bewusstsein gekoppelt ist und dafür sorgen muss, dass sie trotzdem Chancen hat, akzeptiert, also zur Grundlage weiterer Kommunikation zu werden.

Menschen kommunizieren

Schließlich sei noch angemerkt: Systeme können nur an Kommunikation teilnehmen, wenn sie Mitteilung und Information unterscheiden können: „Die Mitteilung selegiert aus unterschiedlichen Verhaltensmöglichkeiten, die Informationen selegiert aus unterschiedlichen Sachverhalten, und die Kommunikation faßt beides in einem Ereignis zusammen[…].“10 Daraus folgt – als Kondensat der Kommunikationspraxis – auch: die Unterscheidung von Subjekt und Objekt, von Mitteilendem und der Information, über die er kommuniziert. Luhmann erklärt auf diese Weise die alltägliche Beobachtung, dass Kommunikationen zugerechnet, also einzelne Menschen und ihre Intentionen für bestimmte Kommunikationen verantwortlich gemacht werden:

„Worte wie Mensch, Seele, Person, Subjekt, Individuum sind nichts anderes als das, was sie in der Kommunikation bewirken. Sie sind kognitive Operatoren insofern, als sie die Berechnung weiterer Kommunikationen ermöglichen.“11

Quellen

Heider, Fritz: Ding und Medium. Hrsg. von Dirk Baecker. Berlin: Kadmos 2005.

Luhmann, Niklas: Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beiteiligt? In: Aufsätze und Reden. Hrsg. von Oliver Jahraus. Stuttgart: Reclam 2001. S.​111-136.

Luhmann, Niklas: Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation. In: Aufsätze und Reden. Hrsg. von Oliver Jahraus. Stuttgart: Reclam 2001. S. 76-94.

Spencer-Brown, George: Laws of Form. Gesetze der Form. 2. Aufl. Lübeck: Joh. Bohmeier Verlag 1999.

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Anmerkungen:

  1. Vgl. Luhmann, N.: Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation.
  2. Luhmann, N.: Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt?  S.115.
  3. Im Normalverlauf schließt das Bewusstsein wahrnehmend Gedanken an Gedanken an. Sprache als Kommunikationstechnologie schränkt ein, welche Laute (oder schriftlichen Zeichen) benutzt werden können, damit unzweifelhaft klar ist, dass es sich um Kommunikation handelt. Durch die Verwendung von Sprache ist das Bewusstseinssystem also mit zusätzlicher Komplexität konfrontiert: es wird angehalten, zwischen Information und Mitteilung zu unterscheiden, eine Unterscheidung, die außersprachlich nicht in seiner Umwelt vorkommt. Während laute U-Bahngeräusche deshalb ohne Weiteres als Regelmäßigkeit ausgeblendet werden können, ist gerade Sprache so angelegt, Systeme mit immer neuer Information zu versorgen, sofern sie nicht in eine monotone Wiederholung identischer Sätze oder Wörter verfällt.
  4. Vgl. Heider, F.: Ding und Medium.
  5. Luhmann, N.: Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt?  S.118
  6. Und betont: „ein sprachlich nicht sehr glücklicher und sicher klärungsbedürftiger Begriff“ Luhmann, N.: Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt?  S. 130.
  7. Kommunikative Systeme machen etwa die Erfahrung der Interpenetration, indem sie die Eigendynamik des physischen Systems Körper beobachten  und in ihren Erwartungsstrukturen  in Rechnung stellen.
  8. Im Sinne von Spencer-Brown, G.: Laws of Form.
  9. Luhmann, N.: Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt?  S.126.
  10. Ebd. S.128.
  11. Ebd. S.132.
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